Dienstag, 17. November 2009

gezeiten der liebe

herr balduin,
aus lauter rastlosigkeit habe ich mich heute auf die verzweifelte suche nach beschäftigung begeben. und so holte ich zwei große kisten aus unsere rümpelkammer und begann auszusortieren. dabei habe ich ein gedicht gefunden, dass wir einmal als exemplarisches beispiel für "kommunikation" in der schule bekommen haben. will es dir nicht vorenthalten!
fritz

ein mensch schrieb mitternächtig tief
an die geliebte einen brief,
der schwül und voller nachtgefühl.
sie aber kriegt ihn morgenkühl,
ließt gähnend ihn und wirft ihn weg.
man sieht, der brief verfehlt den zweck.
der mensch der nichts mehr von ihr hört,
ist seinerseits mit recht empört
und schreibt am hellen tag, gekränkt
und saugrob, was er von ihr denkt.
die liebste kriegt den brief am abend,
soeben sich entschlossen habend,
den menschen dennoch zu erhören -
der brief muss diesen vorsatz stören.
nun schreibt, die grobheit abzubitten,
der mensch noch einen zarten dritten
und vierten, fünften, sechsten, siebten
der herzlos schweigenden geliebten.
doch bleibt vergeblich alle schrift,
wenn man zuerst daneben trifft.
(aus eugen roth, "ein mensch")

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