Mittwoch, 20. Januar 2010

der handschuh

herr balduin,
gerade schwirt mir einiges an gedanken und empfindungen durch kopf und herz, aber sie sind noch nicht schreibfertig. also entweder ließt du an anderer stelle mehr davon oder sie sind dann doch ins meer der vergessenheit geraten. dafür ist jetzt platz für etwas alltägliches. ich habe lang schon nicht mehr von unserer adoptivoma berichtet. gestern warn wir mal wieder zum kaffeeklatsch bei ihr. zu schade, dass ich soviel von dem was sie sagt nicht so rüber bringen kann, wie sie es eben tut. oft zitiert sie beispielsweise irgendwelchen sprüche aus ihrer kindheit:
"man hats nicht leicht wenn man mit gewichten handelt und im dritten stock wohnt." ist einer meiner liebsten. oder ein spruch für - ist mir egal: "ich steh mit auf, aber ich bleib auch liegen." eine wonne kann ich da nur sagen :-) wenn du sie nur sehen könntest wie sie vom roller und schlitten fahren erzählt ... auch habe ich mit ihr eine gemeinsamkeit, wir mögen alte balladen. einige haben wir jetzt schon zusammen gelesen. john maynard von theodor fontane, der handschuh und die bürgschaft von schiller, oder der erlkönig von goethe - kaum zu glauben, aber da wird man dankbar für seine schulbildung. jetzt noch zwei zitate von ihr und dann "der handschuh", um diesen briefen etwas kultur beizufügen.
fritz

"da war mein mann schon mode." (sagte sie beim erzählen einer lebensgeschichte)
"geh mir aus den augen, oder ich krieg dich." (sagte sie zu einem stück kuchen)

der handschuh

vor seinem löwengarten,
das kampfspiel zu erwarten,
saß könig franz,
und um ihn die großen der krone,
und rings auf hohem balkone
die damen in schönem kranz.

und wie er winkt mit dem finger,
auf tut sich der weite zwinger,
und hinein mit bedächtigem schritt
ein löwe tritt
und sieht sich stumm
rings um,
mit langem gähnen,
und schüttelt die mähnen
und streckt die glieder
und legt sich nieder.

und der könig winkt wieder,
da öffnet sich behend
ein zweites tor,
daraus rennt
mit wildem sprunge
ein tiger hervor.

wie der den löwen erschaut,
brüllt er laut,
schlägt mit dem schweif
einen furchtbaren reif,
und recket die zunge,
und im kreise scheu
umgeht er den leu
grimmig schnurrend,
drauf streckt er sich murrend
zur seite nieder.

und der könig winkt wieder;
da speit das doppelt geöffnete haus
zwei leoparden auf einmal aus,
die stürzen mit mutiger kampfbegier
auf das tigertier;
das packt sie mit seinen grimmigen tatzen,
und der leu mit gebrüll
richtet sich auf - da wird's still;
und herum im kreis,
von mordsucht heiß,
lagern sich die greulichen katzen.

da fällt von des altans rand
ein handschuh von schöner hand
zwischen den tiger und den leun
mitten hinein.

und zu ritter delorges spottender weis',
wendet sich fräulein kunigund:
"herr ritter, ist eure lieb' so heiß,
wie ihr mir's schwört zu jeder stund,
ei, so hebt mir den handschuh auf."

und der ritter in schnellem lauf
steigt hinab in den furchtbarn zwinger
mit festem schritte,
und aus der ungeheuer mitte
nimmt er den handschuh mit keckem finger.

und mit erstaunen und mit grauen
sehen's die ritter und edelfrauen,
und gelassen bringt er den handschuh zurück.
da schallt ihm sein lob aus jedem munde,
aber mit zärtlichem liebesblick -
er verheißt ihm sein nahes glück -
empfängt ihn fräulein kunigunde.
und er wirft ihr den handschuh ins gesicht:
"den dank, dame, begehr ich nicht!"
und verläßt sie zur selben stunde.



(1797)

4 Kommentare:

  1. danke für den kulturellen beitrag und die alltäglichen geschichten. scheen :-)

    der genosse wars

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  2. :-) jederzeit wieder! muss sich nur mal wieder was in meinem mikrokosmos ergeben.

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  3. hallo bruderherz,
    grüß mal deine adoptivoma von mir.
    ich mag die geschichten.

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  4. na mal sehen ob ich dran denke, bzw. ob ich - sollte ich daran denken - auch gewillt bin :-)

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