Dienstag, 12. Januar 2010

gebete eines menschen der nicht betet

herr balduin,
ich stand jetzt schon ein paar mal vor meinem bücherregal und haben überlegt, nach welchem buch es mich mal wieder gelüstet. dabei kam ich zu keinem zufriedenstellenden ergebnis. das gesuchte buch sollte sinnvoll und ernsthaft sein, trotzdem kurzweilig zu lesen und einen gewissen unterhaltungswert besitzen. und wie das leben manchmal so ist war mir der erfolg in dieser sache bis zum schluss nicht gegönnt. doch dafür nahm ich ein büchlein zur hand, was ich vor nicht all zu langer zeit schon einmal gelesen habe. der titel war so ungewöhnlich, dass ich es unbedingt besitzen wollte. den autor habe ich dir gegenüber schon einmal erwähnt: janusz korczak, bzw. henryk goldszmit. das büchlein trägt den titel: „allein mit gott – gebete eines menschen der nicht betet“. es ist kein gebetsbuch im herkömmlichen sinne und will es wohl auch nicht sein. im nachwort heißt es: „gebete, die in der kirche nicht gelehrt werden, aber auch denen neue einsichten vermitteln, die gott gewohnt sind ... vertraut und innig, machen die gebete für nichtbeter ernst mit der einsamen trauer des modernen menschen und sind zugleich quellen tröstlicher zuversicht.“ janusz korczak lässt hier 19 personen wie sie unterschiedlicher kaum sein können mit worten sich an gott wenden, die in keiner tradition oder bekannten zeremonie ihren ursprung zu haben scheinen. erschreckend ehrlich und ohne tabus kommt ein querschnitt der menschlichen empfindungen zur sprache. da betet die mutter, ein kleines kind, die prostituierte, ein alter mann, ein künstler, ein lästerer, der erzieher, ein nachdenklicher, ein glücklicher, oder ein klagender mensch. sie beten zu einem gott der ihnen feind, fremder oder bruder ist. halten sich dabei an keinerlei form und lassen einen manchmal mit der bangen frage zurück, ob man so gott gegenübertreten darf!? und doch, genau wie es das nachwort sagt, vermittelt es neue einsichten, selbst denen die glauben, gott gewohnt zu sein. mit seinen wunderbaren formulierungen und einer überweltigend schlichten sprache trifft korczak genau ins leben. im folgenden eine auswahl aus dem texten, die mir besonders gut gefallen ... doch sie geben keinesfalls die gesamtheit wieder. auch ich habe bei manchen worten bedenken, sortiere aus. aber vielleicht braucht es gerade diese ...? diesbezüglich zum schluss noch ein zitat von korczak: „jeder mensch müsste zuweilen augenblicke des aufruhrs gegen den glauben haben, augenblicke der rührung, augenblicke der ekstase und gänzlichen unabhängigkeit von der rationalen spekulation ...“
fritz

selbst dir, mein gott, wage ich nicht, mein kind anzuvertrauen: denn du nimmst den müttern die kinder und den kindern die mütter ... gott, wenn ich diesen kleinen wurm so wahnsinnig liebe, so liebe ich vielleicht dich in ihm, denn du bist – du bist – du bist in diesem geringsten – du größtes geheimnis – mein gott.

versprechen fällt leicht, aber wie es halten? ich habe angst. ich werde mir mühe geben – ich will es sehr. aber geschieht denn ständig das, was man will?

ich weiß, es ist nicht schön zu bitten. aber ich bitte nicht dich, guter gott. du brauchst mir nichts zu geben. aber der onkel hat mir eine uhr versprochen, wenn ich gut lerne. hilf mir nur dabei, dass du den onkel an sein versprechen erinnerst.

ich will beten, und schon kam mir ein sündiger gedanke in den sinn.

oh, unser gott und herr, ich mache, was ich kann. ich kann nicht viel, also tue ich auch nicht viel ... und ich denke, dass es wohl keinen menschen gibt, der mit einen anderen tauschen möchte. jeder hat sich schon an sich selber gewöhnt ... ich weiß nicht, ob ich gut bete, aber es ist wohl einerlei, was der mensch sagt, wenn er nur so spricht, wie er denkt: ehrlich und wahrhaftig. ... und im übrigen hast du gewiss keine zeit ... aber es ist so angenehm, o herr, dir alles zu sagen, dir alles anzuvertrauen.

ich habe keine angst vor dem tod, es tut mir nur leid: ich hätte so gerne noch geschaut, gelesen, gesehen, erlebt, so interessant und neu ist alles, denn es kann das letzte sein.

am fröhlichsten sind wir in den orkanen des kampfes, der uns führt zu unbekannten enden unseres freien fluges – auge in auge mit dem feindlichen dunkel – unter vier augen mit gott.

ich kenne mich nicht, denn mal bin ich auf dumme weise würdig, dann wieder auf würdige weise dumm ... nichts weiß ich, alles errate ich. du weißt schöpfer was das bedeutet: alles! dank dir, schöpfer, dass du das schwein geschaffen hast, den elefanten mit dem langen rüssel, dass du die blätter und herzen zerfranst hast, dass du den afrikanern schwarze gesichter gabst und den zuckerrüben die süße.

meine gedanken haben keine flügel, die das lied zum himmel trügen. meine worte haben weder farbe noch duft noch blüte. müde bin ich und schläfrig.

verlassen hast du mich, mein gott; habe ich dir ein ärgernis gegeben? ... mit dir habe ich den weg begonnen, soll ich jetzt – verlassen – alleine weitergehen, wenn ich müde, geplagt bin und in dem dickicht den weg nicht finde? erinnerst du dich, gott, ich habe dir vertraut. hast du, gott, mein naives flüstern vergessen, das ich zu dir sandte, dass stille bekennen meiner geheimnisse, die wehmutsvollen tränen, die ich zu dir strömen ließ?

weit öffne ich die augen – ich schaue, ich schaue, ich schaue, mein gott, es gibt nichts, ich sehe nichts, höre nichts, weder ein flüstern noch ein seufzer.

eine träne der unruhe, dass ich allein bin in der menge – und schon sind wir zusammen. du mit mir, mein gott. ... und das ist das schlimmste: dass deine helle gestalt, o gott, mir verstellt wurde von deinen verlogenen deutern. ich war gezwungen mich durchzukämpfen durch diese finstere meute ... - durch all das und sie alle strebte ich, mein gott, dennoch zu dir. deshalb ist es so spät – deshalb bin ich erst jetzt da ... mein gott. ich sage: mein und habe vertrauen.

es ist wahr, das ich sehe. es ist wahr, dass ich ein herz habe. wahr ist mein denken und die blüte im kirschbaum. wahr ist, dass ich vor mich hinsinge, dass ich – schreie. mit verliebtem flüstern meiner augen küsse ich den staubwirbel froher wahrheiten.

ich kann nicht unehrlich sein. also gebe ich zu: ich kenne dich nicht, gott. und mir scheint: bevor der mensch dich erkennt, o gott, muss er vor allem sich selber erkennen, sich selber finden. ich aber irre umher, verstehe mich nicht und versuche mich zu erraten wie eine scharade, wie eine sehr schwierige aufgabe in der mathematik.

denn du bist ja nicht nur in der träne des menschen, sondern auch im duft des flieders, nicht nur im himmel, sondern auch im kuß ... ich weiß, du bist der große, der mächtige, der unsterbliche und so weiter, aber ich weiß es eben nur – und nichts weiter ... schau mein gebet ... ist es weise? nein. doch kann man es töricht nennen? es ist konfus, denn auch ich bin kunfus.

2 Kommentare:

  1. wow, eine interessante auswahl aus einem breiten spektrum der lebens- und glaubenserfahrungen. danke.

    m.

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  2. o ja, ich bin auch immer wieder verblüfft von diesem erlebenshorizont! und noch verblüffender, wenn man bedenkt, das korczak kein offensiver vertreter irgendeiner glaubensrichtung oder religion war. und dennoch konnte er solche worte an einen gott richten ... ihm war die sehnsucht und das "religiösen" bedürfnisse der menschen bewusst und er wertete sie keineswegs ab - wie es heute oftmals geschieht

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